Das Menschenbild des Beraters macht den Unterschied

„Angenommen, nur mal angenommen, du hast all dein Wissen und deine Fähigkeiten als systemischer Berater genutzt, wie ist dein Coaching in der konkreten Situation dann gelaufen?“ Auf einmal war Ruhe im Raum. Mein Gegenüber schaut mich fragend an. Gerade hat er von einer Beratungssituation berichtet, in der er all die Dinge angewandt hat, die er in der Ausbildung gelernt hat. Selbst die „Wunderfrage“ hat er gestellt. Und das Ergebnis am Ende der Beratung passte genau zu dem, was er sich vorgestellt hatte. Also, was will der Trainer? Auch einige andere aus der Gruppe sind am Nachdenken.
Um es kurz zu machen: ich will auf die „Haltung“ des Beraters hinaus, auf sein „Menschenbild“. Dieses Menschenbild wirkt in der Beratung wie ein „Rückgrat“ und stützt den Berater und die Beziehung zu seinem Kunden. Selbst mit einem Handwerkskasten voll mit guten Methoden, die im Gespräch gekonnt eingesetzt werden, bleibt Beratung ohne Rückgrat nur „Sozialtechnik“ und nimmt den Menschen, der mir gegenüber sitzt, nicht ernst. Bewusst wird es so vielleicht nicht praktiziert, schon gar nicht von einem Berater in Ausbildung. Dennoch entspricht das nicht einem partnerschaftlichen Gespräch, sondern zementiert eine Hierarchie in der Beratung. Ein oben und unten. Ich, der Berater, weiß wo es lang geht und du, der Kunde, weißt es nicht. Das entspricht in keiner Weise der Haltung der systemischen Beratung. Systemische Beratung legt Partnerschaft und Offenheit im Beratungsprozess zugrunde.
Jedes Beratungskonzept basiert auf einem bestimmten „Menschenbild“. Dadurch lässt es sich auch von anderen abgrenzen. Das „Menschenbild“ wiederum ist geprägt durch
- ein System von „Schlüsselbegriffen“, d.h. durch das jeweilige Erklärungsmodell, mit dem menschliches Verhalten gedeutet und erklärt wird,
- bestimmte zentrale Grundannahmen, man könnte hier auch von Werten sprechen, die unser Handeln leiten und die Vorgehensweise begründen.
Natürlich hat auch die systemische Beratung ihre „Schlüsselbegriffe“ wie zum Beispiel „System“, „Differenzierung von System und Umwelt“, „Zirkularität“ und „Regelkreis“ oder „Verhaltens-/Kommunikationsmuster“ und „Hypothesenbildung“ oder „Entwicklung“. Dieses Begriffssystem ermöglicht
- die Beschreibung sozialer Abläufe, wobei die Aufmerksamkeit nicht nur auf die einzelne Person, sondern auf das Zusammenwirken der verschiedenen Faktoren eines sozialen Systems gelenkt wird,
- die Erklärung sozialer Situationen aus unterschiedlichen Blickwinkeln
- die Definition eines Rahmens möglicher Interventionen.
- die Autonomie des Kunden
- die Autonomie des Beraters
- die Autonomie des sozialen Systems.
Die zweite zentrale Grundannahme ist die „Kompetenzhypothese“. Das bedeutet, dass jeder Mensch grundsätzlich die Fähigkeiten hat, seine Probleme zu lösen. Allerdings ist er mit diesen Fähigkeiten nicht immer im Kontakt. Manchmal sind sie etwas verschüttet.
Das bringt uns zur dritten Grundannahme, der „Ressourcenorientierung“. Systemische Beratung ist in erster Linie eine kommunikative Beratung. Unsere Interventionen sind Fokussierungen von Aufmerksamkeit. Diese Aufmerksamkeit lenken wir in Richtung Lösungen und Ressourcen/Fähigkeiten und nicht in Richtung Problem und Defizite.
Ausgehend vom Menschenbild, dem Fundament der systemischen Beratung sind auch die vielen guten Methoden und Interventionen kein „Hexenwerk“, sondern sehr nachvollziehbar. Es gehört auch zum partnerschaftlichen, offenen Umgang mit dem Kunden, dass der Berater bei Bedarf seine Vorgehensweise und seine Interventionen in Frage stellen lässt und sie dem Kunden erläutert. Es gibt nichts Nützlicheres als Kunden, die nicht nur kompetent für ihre Problemlösungen sind, sondern auch kompetent im Beratungsprozess. Der Kunde als Co-Berater. Gutes Gelingen.