Das Lesen in der eigenen Bedienungsanleitung

Im Gegensatz zur Bedienung vieler technischer Systeme haben wir eben sehr selten in unserer „eigenen Bedienungsanleitung“ gelesen und uns darüber Klarheit verschafft, wie funktioniere ich eigentlich und an welchen „Reglern“ hab ich die Möglichkeit, meine Haltung oder mein Verhalten anders einzustellen.
Wie das Lesen in der eigenen Bedienungsanleitung den Konfliktalltag erleichtert
von Peter Röben

„Denkmuster sind zugleich die nützlichsten und nutzlosesten Instrumente für den Umgang mit Problemen. Wenn man den richtigen Zugang wählt, kann man das Problem lösen. Wenn man aber nicht wirklich wählen kann, sondern nur blindlings seinen Denkmustern folgt, benutzt man wahrscheinlich nicht das richtige Denkmuster für den gewünschten Zweck.“ Idries Shah


Im Verlauf unseres Lebens, bereits mit Beginn unserer frühen Kindheit, haben sich bei uns viele Denk- und Handlungsmuster herauskristallisiert, auf die wir automatisch zurückgreifen, ohne diese Handlungen bewusst auf ihre Nützlichkeit hin zu untersuchen. Das heißt, wir reagieren oft in Situationen, ohne Klarheit darüber zu haben, warum tun wir dies und ob dieses Handlungsmuster zu der jetzigen Situation passt. So leben wir dann häufig in dem Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ und erleben Wiederholungen von Situationen, die wir nicht als befriedigend erleben. Gerade Situationen, die stressbelastet sind, wie Konflikte, führen oft dazu, dass diese Automatismen einsetzen.

Im Gegensatz zur Bedienung vieler technischer Systeme haben wir eben sehr selten in unserer "eigenen Bedienungsanleitung“ gelesen und uns darüber Klarheit verschafft, wie funktioniere ich eigentlich und an welchen "Reglern“ hab ich die Möglichkeit, meine Haltung oder mein Verhalten anders einzustellen.
Das Lesen in der eigenen Bedienungsanleitung kann sehr hilfreich sein, um konstruktiver in verschiedenen Konfliktsituationen zu handeln. Das Finden von Antworten auf ganz persönliche Fragen wird Sie dabei unterstützen, z. B.:
• Wie funktioniere ich eigentlich in bestimmten Situationen?
• Wie ist es zu dieser Funktionsweise bei mir gekommen?
• Bin ich mir eigentlich meiner Handlung und Wirkung auf andere in diesen Situationen bewusst?
• Gelingt es mir auch in schwierigen Situationen einen reflektierten Umgang mit mir herzustellen?
• Wer hat meine „Bedienungsanleitung“ geschrieben und in welcher Art und Weise? Und über welche Kapitel bin ich eher nicht glücklich?
• Welche spezifischen Inhalte haben eine Relevanz in heutigen Konfliktsituationen?
• Welche Grundtendenz des Konfliktverhaltens ist bei mir immer wieder zu beobachten? (Vermeidung, Durchsetzung, Anpassung, Kompromiss, Kooperation,…)
• Welche Personen haben mein Konfliktverhalten stark geprägt und wie glücklich/unglücklich bin ich mit dieser Prägung?
• Welche Schlüsselerlebnisse haben bei mir zu Veränderungen meiner Konflikttendenz geführt?
• Inwieweit habe ich in Konfliktsituationen Kontakt zu meinen Gefühlen und welche herrschen vor (z. B. Wut, Trauer,…)?

Was wir heute in Konfliktsituationen praktizieren, hat sich durch viele persönliche Einträge bei uns manifestiert. Dabei geht es oft gar nicht darum, ob uns diese Erfahrungen noch bewusst sind oder ob wir sie damals sehr bewusst wahrgenommen haben.
Nach heutigen Kenntnissen prägen bereits Ereignisse im Mutterleib unser späteres Verhalten. Auch in unseren ersten Lebensjahren entstehen wegweisende Impulse für unser späteres Leben. Einerseits erhalten wir hierdurch Prägungen, andererseits sind wir diesen nicht völlig ausgeliefert. Wir können uns entscheiden mit unseren Prägungen bewusst umzugehen, neue Erfahrungen zu machen und alte Prinzipien über Bord zu werfen. Der Erziehungsstil unseres Elternhauses, die Erfahrung im sozialen Umfeld, der Umgang unserer Lehrer mit uns, das Verhalten von Freunden, Verwandten oder Mitschülern haben Spuren hinterlassen, die nützlich gewesen sein mögen, die vielleicht in bestimmten Situationen damals positiv waren, sich aber nicht so einfach auf heutige Situationen übertragen lassen. Natürlich werden wir auch eine Vielzahl von schmerzhaften und verletzenden Erinnerungen haben.
Wenn in meiner Ursprungsfamilie Harmonie der höchste Wert war und es tabu war, sich zu streiten, kann es sein, dass ich dies als eine glückliche Kindheit für mich in Erinnerung haben. Gleichzeitig mag diese Erfahrung dazu geführt haben, dass es mir heute schwer fällt, konfliktäre Situationen auszuhalten und ich meine eigene Position bei Konflikten oft um des lieben Friedens Willen aufgebe.
Wer eher in einem strengen und rigiden Umfeld großgeworden ist, wird sich vielleicht in dieser Zeit eher als ein Spezialist in der Verhaltenstendenz der Anpassung entwickelt haben.
In vielen konfliktären Situationen geht es um die zentrale Frage:
„Wie sehr kann ich mit einer Selbstverständlichkeit meine eigenen Wünsche, Ziele und Bedürfnisse artikulieren und auch für sie eintreten oder wie sehr muss ich mich den Wünschen, Zielen und Bedürfnissen anderer Personen unterordnen?“
Für ein reifes Konfliktverhalten ist es notwendig, sowohl die Fähigkeit zu haben meine Interessen, Ziele, Wünsche, Bedürfnisse zu registrieren, Klarheit zu haben und ohne schlechtes Gewissen argumentieren zu können. Man könnte auch sagen, eine gewisse Form von Standfestigkeit ist eine notwendige Voraussetzung. Genauso wichtig ist es, die Fähigkeit zu haben, die Wünsche, Ziele, Bedürfnisse des Konfliktpartners zu erkunden, durch Fragen und Zuhören Handlungsspielräume zu ergründen, um die Möglichkeit zu haben zu kooperieren.
Welchen praktischen Nutzen habe ich nun davon, wenn es mir gelingt meiner Verhaltenstendenz bewusster zu sein und sie auch flexibel einsetzen zu können? Der reflektierte Umgang mit mir selbst und meiner Biografie ist ein Instrument wirkungsvoller Konfliktbearbeitung. Es ermöglicht mir aufgrund von innerer Klarheit eigene Anteile in Konfliktsituationen und eigene Befindlichkeiten bewusst wahrzunehmen. Dadurch ist es oft möglich unsere Gefühle zu regulieren, angst- und stressfreier in Konflikten zu agieren und Konflikte nicht als Ausnahmezustand, sondern als eine normale Situation unseres Lebens zu begreifen. Durch das Bewusstmachen mögen sich bestimmte Konflikte relativieren, ich werde mir meiner eigenen Anteile bewusst und vermeide auf diese Art und Weise auch Schuldzuweisungen an meine Konfliktpartner. Dies führt zu einer größeren Klarheit, was mir in solchen Situationen leicht und schwer fällt. Ich kann Übertragungen vermeiden (eine Person erinnert mich an jemand und ich behandele ihn so wie diese Person). Es kann mir auch gelingen, meine persönliche Befindlichkeit und Betroffenheit zu verschieben und so bewusster und achtsamer mit mir und anderen Menschen in Konflikten umzugehen. Auf diese Art und Weise mögen Konfliktlösungen durch eine neue Bewertung möglich sein.
Viele Menschen, die auf der Suche sind, Konflikte besser zu bearbeiten, suchen nach Strategien, Patentrezepten, einfachen Lösungen und Tricks, um Konflikte besser zu "managen“. Dieser Weg hätte den Vorteil, sich selbst außen vorzulassen und scheinbar von außen Probleme des Alltags besser meistern zu können. Soweit das von vielen gedachte Wunschkonzert.
Der Konfliktalltag ist schwieriger. Er hat auch immer was mit uns selbst zu tun, mit der Welle, die wir vor uns herschieben, mit unserer eigenen Biografie und unseren Befindlichkeiten. Wer sich nicht scheut, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und achtsam in seiner eigenen Bedienungsanleitung liest, wird eine Anzahl von Ideen entwickeln können, die es ermöglichen, Konflikte in einer anderen Art und Weise zu bearbeiten.

Orientalische Geschichte:
Eine Taube beschwerte sich bei einer alten, weisen Taube darüber, dass die Nester, die sie aufsuchte, nach kurzer Zeit so fürchterlich stanken. Die weise Taube hielt einen Moment inne und sagte: „Es sind nicht die Nester, die stinken.“