Schlechte Zeiten sind auch gute Zeiten

Investitionen in Mitarbeiter lassen sich oft nur schwer in ihrer Rentabilität berechnen. Aussagen in der Werbung „unsere Mitarbeiter sind unser Kapital“ verlieren dann oft an Glaubwürdigkeit. Kreatives ist weniger oder gar nicht gefragt, auch wenn es verbal gefordert wird.
von Reinhard Breuel
"Es ist besser ein Licht anzuzünden, als über die Dunkelheit zu klagen."
(chinesisches Sprichwort)


Ein guter Bekannter erzählte mir, dass er dieses Jahr für sich als Unternehmer abgehakt habe. „Da ist nichts mehr zu machen. Ich schaue in die Zukunft und sehe dort auch schon Chancen für uns als Unternehmen.“
Löblich, nicht zu jammern, sondern nach Vorne zu schauen. Als Unternehmer ist es wichtig, mich so aufzustellen, dass ich nach der Krise gut im Geschäft bin.

Wir können die schlechten Zeiten ganz unterschiedlich nützen:

  • klagen, wie schwer alles ist
  • uns an die Kostenseite heran machen und Einsparpotentiale suchen, damit unsere Verluste minimieren und gut gerüstet sein für bessere Zeiten
  • Auswüchse aus guten Zeiten zurückfahren
  • Marketingkonzeptionen entwickeln, Aktionen durchführen, Preisnachlässe geben, Schnäppchen anbieten und Ähnliches
  • sich die Zeit nehmen, bisheriges Handeln zu reflektieren, Werte und Einstellungen zu überprüfen und uns klar werden, nach welchen Prinzipien wir bisher gehandelt haben, wie wir in Zukunft agieren wollen und welches die Grundlagen dafür sein sollen.

Wir können aus der „Geschichte“ lernen, das gilt auch für Teams und Unternehmen, setzt aber die Bereitschaft voraus, kritisch zu hinterfragen und die Bereitschaft sich auf Neues, vielleicht auch Unbequemes einzulassen, auf manches zu verzichten und nicht all das zu tun, was gerade „in“ ist.
In einem Gespräch sagte mir ein Manager zu einer diskutierten Marketingmaßnahme:

„Ich bin überzeugt, dass wir mit dieser Maßnahme einen wichtigen Schritt zur Qualitätssteigerung tun. Mein Problem ist nur, ich werde spätestens in einem halben Jahr gefragt, was es gebracht hat. Und ich kann dann noch nicht mit nachweisbaren Erfolgen rechnen. Außerdem wird es sowieso schwer sein, einen Erfolgsnachweis zu erbringen. Daran aber werde ich gemessen und danach bezahlt. Bitte haben Sie Verständnis, dass ich deshalb lieber etwas unternehme, was kurzfristig Wirkung zeigt, auch auf die Gefahr hin, dass es nur ein Strohfeuer ist.“

Der Wunsch nach Absicherung und die Zahlengläubigkeit ist sehr hoch geworden. Für viele Entscheidungen werden aufwendige Berechnungen aufgestellt, auf die man sich dann berufen kann. Die „Controllinggläubigkeit“ rückt an die Stelle von Intuition für zukünftige Entwicklung, die gute Manager oftmals ausgezeichnet hat. Rechenprogramme übernehmen dann die Verantwortung. Investitionen in Mitarbeiter lassen sich aber oft nur schwer in ihrer Rentabilität berechnen. Aussagen in der Werbung „unsere Mitarbeiter sind unser Kapital“ verlieren dann oft an Glaubwürdigkeit. Kreatives ist weniger oder gar nicht gefragt, auch wenn es verbal gefordert wird.

In diesem Zusammenhang lassen sich zwei Strömungen erkennen:

  • Alles soll bis ins Kleinste berücksichtigt und geregelt sein. Folge ist häufig eine hohe Komplexität, die nur noch wenige ganz durchschauen. Verstehen und Verständnis ist dadurch auf einen kleinen Kreis begrenzt.
  • Action und Tempo werden als Kriterien für erfolgreiches Handeln angesehen. Manchmal entsteht dabei der Eindruck, dass Input wichtiger wie Output ist.

Wissen Sie, was Ihr „EDV-Programm“ alles kann? Wahrscheinlich für die meisten viel mehr als nachgefragt oder genützt wird. Vielen ist es viel zu anstrengend, sich mit all den Möglichkeiten zu beschäftigen und verzichten deshalb auf die Dinge, die sie gut gebrauchen könnten. Nicht ohne Grund gibt es mittlerweile Handys bei denen die Telefonfunktion deutlich im Vordergrund steht.
Ähnliches lässt sich auch bei Autos feststellen. Manche Anbieter fahren bewusst die Möglichkeiten, die der Bordcomputer bietet, zurück, da sie nicht oder nur sehr eingeschränkt genützt werden. Wichtige und für den Nutzer hilfreiche Funktionen werden nicht genutzt, da alles insgesamt für den Nutzern zu kompliziert erscheint.
Dies lässt sich auch in vielen Küchen im Haushalt beobachten, wo oft auf Technik verzichtet wird, weil all das zu kompliziert und aufwendig erscheint, insbesondere, wenn es nicht täglich benötigt wird.
Beispiele könnten auch aus dem betrieblichen Alltag genug gefunden werden, wo Dinge aufwendig per EDV eingegeben, errechnet, ausgedruckt und an viele Mitarbeiter verteilt werden, um dann unbeachtet abgelegt oder in den Papierkorb geworfen zu werden (Zahlenfriedhöfe entstehen).

Einige Prinzipien könnten helfen, Werte, daraus resultierende Einstellungen und Handeln grundsätzlich zu überdenken.

Das Prinzip von Einfachheit
Mancher Speicher ist voll mit Gerümpel. Das gilt auch im übertragenen Sinne. Ballast, den wir mit uns herumschleppen und den wir nur ungern loslassen, kostet uns Energie und bindet Kräfte.
In unseren Gesetzen wollen wir möglichst gerecht sein und denken dabei an alle Eventualitäten, regeln unzählige Ausnahmen und machen dabei alles unübersichtlich und kompliziert. Nur Experten kennen sich dann noch aus. Im Zweifel muss das Gericht Unklarheiten klären, usw.
Auch betriebliche Organisationsanleitungen sehen oftmals entsprechend aus und brauchen lange, ausführliche Besprechungen, damit jeder versteht, was gemeint ist.
Als Moderator habe ich oftmals Planungsbesprechungen moderiert. Aufwendige Vorbereitungsarbeiten, mit denen sich Planungsstäbe in Zusammenarbeit mit Controllingabteilungen schon ab Mitte des Jahres beschäftigen, präsentieren ein ausgefeiltes System an Zielfeldern, Einzel- und Gesamtzielen, etc.
Allein die Präsentation dieser Arbeit dauert häufig lange und für die Betroffenen (Führungskräfte) ist es meist nur schwer nachvollziehbar, was dort erarbeitet wurde.
Die dann folgende Zieldiskussion wird dann zum „Kuhhandel“ oder zu direktivem Anordnen. Da die Ziele so umfangreich und vielschichtig sind, ist schnell vergessen, was diskutiert wurde. Je mehr Ziele „vereinbart“ (vorgegeben) wurden, um so weniger bleiben im Alltag im Blickfeld.
Der Grundsatz „Konzentration auf weniges Wichtiges“ wird hier eklatant missachtet.
Im Alltag erleben Geschäftsleitungen dann oft eine „Missachtung“ ihrer Zielplanungen. Dies veranlasst leider viele den Planungsprozess noch mehr zu perfektionieren und „unangreifbarer“ zu machen. Im Sinne von Watzlawik passiert hier mehr vom selben, statt nach neuen Wegen zu suchen.

All das lässt sich aber auch gut auf unser privates Handeln übertragen. Uns fehlt häufig der Mut zum Entrümpeln, zum Beispiel auch in Beziehungen. Wir scheuen den Konflikt lästige Kontakte abzubrechen. Wir nehmen lieber in Kauf, dass unsere Zeit für uns selber, die Familie oder Menschen, die uns wichtig sind, eingeschränkt ist.
Wahrscheinlich sind Ihnen beim Lesen noch viele persönliche Beispiele zu all dem eingefallen.

Das Prinzip von Langsamkeit
Es gibt eine Geschichte, die dies sehr anschaulich macht:

Als der weise Mullah Nasrudin mit seinem Bündel Habseligkeiten zu Fuß zur nächsten Stadt wanderte, überholte ihn eine recht schnell fahrende Kutsche. Der Kutscher, der es sehr eilig zu haben schien, rief: „Wie weit ist es zur nächsten Stadt?“

„Wenn Ihr langsam fahrt, eine halbe Stunde – wenn Ihr schnell fahrt, zwei Stunden, mein Herr!“ antwortete Nasrudin.
„Du Narr!“ schimpfte der Kutscher, griff zur Peitsche und trieb die Pferde noch heftiger an, und die Kutsche fuhr in hohem Tempo weiter.

Nasrudin ging seines Weges daher.
Die Straße hatte viele Schlaglöcher. Eine Stunde später fand er eine Kutsche, die offenbar mit einem Schaden im Straßengraben lag. Die Vorderachse war gebrochen und der Kutscher fluchend damit beschäftigt, diese zu reparieren.

Der Kutscher blickte Nasrudin vorwurfsvoll an, worauf dieser nur antwortete:
„Ich sagte Euch doch: Wenn Ihr langsam fahrt, eine halbe Stunde...“

Mit Langsamkeit ist nicht Stillstand und Nichtstun gemeint. Langsamkeit ist ein angemessenes Tempo. Dazu ist es notwendig, das Ziel abzuschätzen und sich über den Weg dorthin im Klaren zu sein. „Das muss doch auch schneller gehen“ ist die Aussage vieler Führungskräfte und Geschäftsleitungen.
Beratungsgespräche mit Kunden sollen effizient sein, nicht viel Zeit in Anspruch nehmen, den persönlichen Kontakt mit dem Kunden ausbauen und damit für Kundenbindung sorgen und es sollen die Dinge an den Mann/Frau gebracht werden, die den Verkaufszielen des Unternehmens entsprechen. Ein systematisch aufgebautes Kundengespräch wird sowieso vorausgesetzt. Das dies alles nicht ehrlich ist, spürt der Kunde und „verabschiedet sich“.
Die eigentlich gewollte, langfristige Kundenbindung entsteht so nicht. Der langfristige Erfolg bleibt aus.
Die Ergebnisse veranlassen die Leitung, noch mehr Druck auf die Berater auszuüben, deren Motivation dadurch aber immer mehr zurück geht.
Das soll nicht heißen, jeder kann tun wie er will. Aber Kundenbindung zu schaffen kostet Zeit und „lustvolles“ Agieren der Berater. Wenn die Kundenbeziehung erst einmal vertrauensvoll ist, genügt oft wenig Zeitaufwand, die vertraute Beziehung zu erhalten.
Beim Betreten mancher Unternehmen spürt der Besucher sogleich, hier ist Action angesagt. Die Menschen bewegen sich schnell hin und her. Man kommt sich vor wie in einem Ameisenhaufen, in den jemand mit einem Stock hineingestoßen hat.
Die Menschen scheinen wenig Zeit zu haben. Sie wirken angespannt und unter Druck. Als Besucher bin ich mir nicht sicher, ob ich jemand ansprechen darf. Wenn man in diesem Unternehmen anruft und jemand sprechen möchte, ist selten die Chance da, ihn direkt ans Telefon zu bekommen. Und wenn ja, dann muss er oder sie gerade in ein Meeting und hat eigentlich keine Zeit. „Am besten erreichst Du mich heute Abend nach 18:00 Uhr, wenn die anderen nach Hause gegangen sind. Ach nein, Heute nicht da habe ich noch...“
Bei näherer Betrachtung der Situation in diesem Unternehmen wird deutlich, dass „belohnt“ wird, wer von Meeting zu Meeting hetzt, viele Aktivitäten in Gang setzt und viel beschäftigt ist. Input ist gefragt. Wer sich dem zu entziehen versucht, hat in dieser Kultur keinen Platz. Sollte er trotzdem gut Ergebnisse in seiner Aufgabe erreichen, wird angenommen, dass er faul ist und eigentlich noch viel mehr machen könnte. Der Grundsatz "Konzentration auf weniges Wichtiges", bleibt dabei außer acht.

Wenn ich ein Team auffordere, auf eine große Wippe zu steigen und sie ins Gleichgewicht zu bringen, dann ist auf der Wippe meist viel Aktion zu erleben. Jeder bewegt sich, um seinen Teil zu der Aufgabe beizutragen. Die Wippe bewegt sich dabei hin und her und schlägt an den Seiten auf dem Boden auf. Manchmal fällt auch jemand herunter, der das Gleichgewicht nicht mehr halten kann. Erst nach einiger Zeit erkennt die Gruppe, dass es ausreicht, wenn einer oder zwei sich bewegen und die Gruppe mit einander in Kontakt ist. Am deutlichsten wird das, wenn nicht mehr gesprochen werden darf.
In der späteren Reflexion erklären dann manche: „genau wie in Alltag, alle springen aufgeregt herum und werden aktiv. Es täte uns gut, erst einmal inne zu halten und dann zu klären wer, was, wann am besten tut“.

Bei diesem Thema geht es nicht darum, neue Handlungsanweisungen für den Alltag zu geben, sondern grundsätzlich über die Kultur des Unternehmens, dahinter liegende Werte und Einstellungen nachzudenken. Verhalten und Handeln werden sich dann zwangsläufig daraus ergeben.

Letztlich lassen sich diese Gedanken auch auf die Familien und den Einzelnen übertragen.

Prinzip der Nachhaltigkeit
Ein Schlagwort, dass zur Zeit modern und in aller Munde ist.
In einem Tagungshotel erlebte ich, wie kurz vor Ende des Quartals bei einer Veranstaltung von Vertriebsmitarbeitern eines Unternehmens viel Hektik und häufiges Telefonieren zu beobachten war. „Wir müssen unsere Zahlen für den Quartalsabschluss gut in Ordnung haben, sonst bekommen wir mit der Geschäftsleitung Ärger“.

Die Veranstaltung selber trat deutlich hinter diese Aktivitäten zurück. Die Gespräche der Betroffenen drehten sich weitgehend um die Quartalszahlen.
Ähnliches erlebte ich in einem Gespräch mit internen Beratern eines Unternehmens. Sie sahen in einer Diskussionsrunde sehr wohl die Notwendigkeit einer langfristigen Qualifizierung ihrer Mitarbeiter. Dafür sei aber so leicht kein Budget frei zu bekommen. Es wurde viel Zeit darauf verwendet, zu überlegen wie Vorgesetzte zu überzeugen seien, welche Strategien dafür notwendig seien und worauf der Vorgesetzte am ehesten reagieren könnte, um die Idee durchzusetzen.
Bei kurzfristigen Aktivitäten sei dies alles nicht so schwierig, denn das sei ja auch auf kurzfristige Messbarkeit ausgerichtet.
Oftmals werden dann auch von langfristigen Ausrichtungen und Strategien kurzfristige Erfolge erwartet. Treten diese dann nicht ein, wird die Maßnahme einfach gestrichen.

Die Prinzipien von Einfachheit, Langsamkeit und Nachhaltigkeit erfordern Mut.

  • Mut infrage gestellt zu werden,
  • Mut etwas zu tun, was nicht jeder tut,
  • Mut Geduld und Gelassenheit zu haben,
  • mir meiner selbst und meiner Werte und Einstellungen bewusst zu sein und
  • bei Widerständen nicht „um zufallen“.